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Beitrag vom 25.05.2018
The Poetess. Dokumentarfilm von Stefanie Brockhaus und Andreas Wolff. Kinostart am 31. Mai 2018
Helga Egetenmeier
Hissa Hilal schaffte es als erste weibliche Dichterin in das von 75 Millionen Zuschauer*innen gesehene Finale der arabischen Reality-TV-Show "Million´s Poet". Der Dokumentarfilm begleitet die selbstbewusste Frau mit der eindrucksvollen Stimme durch das patriarchal geprägte Saudi-Arabien und lässt sie von ihrem Leben zwischen...
... Familie, Islam und gesellschaftlichen Zwängen erzählen.
Weltweit in den Medien war Hissa Hilal im Jahr 2010, als sie mit Vollverschleierung, in Abaya und Nikab gekleidet, und einem politischen Gedicht auf der Bühne des populären Dichter*innen-Wettbewerbs "Million´s Poet" die männlich-islamistische Gesellschaft, und allen voran einen für seine extremistischen Fatwas berüchtigten Geistlichen kritisierte. Regisseurin Stefanie Brockhaus wurde durch ein Foto in der New York Times auf Hilals Fernsehauftritt aufmerksam und entschloss sich, einen Film zu ihrer Geschichte zu machen.
Die saudi-arabische Poetin Hissa Hilal
Hissa Hilal, Dichterin, Journalistin, verheiratet und Mutter von vier Kindern, spricht sich im Film leidenschaftlich für die poetische Tradition der arabischen Dichtkunst aus. Um diese würdevoll zu vertreten, sei auch eine inhaltliche Tiefe nötig, weshalb sie sich nicht mit leeren Phrasen begnügen würde. Mit dieser Begründung verteidigte sie ihre Lyrik beim Finale der Fernsehshow und sprach sich mit ihrem Gedicht "Das Chaos der Fatwas"gegen einen von Terrorismus und Fanatismus geprägten Islam aus. Die von einem Beduinenvolk abstammende Poetin sieht sich als Kämpferin für fortschrittliche Frauenrechte, kann im Dokumentarfilm ihre Augen aber nur durch einen Schlitz hindurch zeigen.
Geschlechterrestriktionen im öffentlichen Raum
Seine Weltpremiere hatte der Dokumentarfilm in Anwesenheit von Hissa Hilal beim Filmfestival Locarno 2017. Da im Tessin seit 2016 das öffentliche Tragen von Gesichtsschleiern verboten ist, wurde sie für ihren verschleierten Auftritt auf der Bühne kritisiert. Ihr bedecktes Auftreten in der medialen Öffentlichkeit verteidigte sie als Sicherheitsmaßnahme für ihre Familie und sich selbst, da sie wegen ihrer Fernsehauftritte Todesdrohungen erhielt.
Der Dokumentarfilm begleitet Hissa Hilal, während sie ihren Lebensweg erzählt, an öffentlichen Orten, an denen die Einhaltung der vorgeschriebenen Kleiderordnung wie dem Tragen von Abaya und Nikab per Scharia verpflichtend ist. Häufig fokussiert die Kamera auf ihre Augen und das umgebende Tuch mit den Sehschlitzen. Dieser Close-Up generiert eine persönliche Nähe, die erahnen lässt, dass diese Aufnahmen in ihrem privaten Umfeld entstanden sind.
Politik und Kulturindustrie in Saudi-Arabien
Saudi-Arabien hatte bis zu seinem ultra-konservativen Wandel 1979 eine lebhafte Kinolandschaft, danach wurden Kinos verboten. So wurden in Saudi-Arabien bis heute weder der mit mehreren Filmpreisen ausgezeichnete saudi-arabische Spielfilm "Das Mädchen Wadjda" (2012) der Regisseurin Haifaa Al Mansour, noch die von Saudi-Arabien für die Oscar-Teilnahme eingereichte Romantik-Komödie "Baraka meets Baraka", die bei der Berlinale 2016 den Preis der Ökumenischen Jury erhielt, gezeigt. Beide Filme thematisieren die strenge Trennung der Geschlechter, die besonders an öffentlichen Orten ein Bild von Restriktionen und ein Fehlen von gesellschaftlichem Leben zeigt.
Bereits im Oktober 2017 hat der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman bei einer Investmentkonferenz in Riad eine kulturelle Öffnung "seines Landes" angekündigt. Mit dem Hollywood-Blockbuster "Black Panther" wurde im April 2018 in der Hauptstadt das erste öffentliche Kino seit fast vierzig Jahren eröffnet. Und auf dem diesjährigen Filmfestival in Cannes gab die Regierung bei einer Pressekonferenz die Entwicklung einer Filmindustrie bekannt, die internationale Produktionsfirmen durch günstige Bedingungen ins Land holen soll.
Trotz dieser Versprechungen wurden vergangenen Freitag, den 18.05.2018, mehrere führende Frauenrechtlerinnen und ihre Anwält*innen verhaftet. Dieser Tag war der Beginn des Fastenmonats Ramadan und würde symbolisch einer Verhaftung an Weihnachten in Europa gleichkommen. Ebenfalls bedeutsam an diesen Inhaftierungen ist, dass am 24.06.2018 mit Saudi-Arabien als letztes Land der Welt das Autofahrverbot für Frauen aufgehoben werden soll. Den Verhafteten wird vorgeworfen, "of forming a ´cell´, posing a threat to state security for their contact with foreign entities with the aim of undermining the country´s stability and social fabric", wie Amnesty International berichtet. Dazu kommt eine Schmutzkampagne in regierungsnahen Medien und sozialen Netzwerken, die der Entwicklung von Frauen- und Menschenrechten bewusst politisch entgegen wirkt. Aufgrund dieser Ereignisse sagte Hissa Hilal die mit ihr geplanten Kinogespräche zum Erscheinen des Dokumentarfilms ab.
AVIVA-Tipp: Gut in den Bildern transportiert sind die eingeschränkten Aufnahmemöglichkeiten, mit denen die Filmemacher*innen bei ihrer Arbeit in diesem totalitären Land zu kämpfen hatten. Nicht nur deshalb ist es ein bemerkenswerter und aussagekräftiger Dokumentarfilm über eine kämpferische saudi-arabische Frau und Künstlerin entstanden, die in einer unfreien Gesellschaft nach den Lücken im System sucht und dabei ihr Leben aufs Spiel setzt. Unbedingt empfehlenswert.
Aufführungen mit Filmgespräch:
Aufgrund von politischer Willkür in Saudi-Arabien musste Hissa Hilal ihre Teilnahme absagen.
Die Gespräche finden daher ausschließlich in Anwesenheit von Regisseur Andreas Wolff statt.
25.05.2018, 20.00 Uhr, b-ware Ladenkino, Berlin (in Kooperation mit The Berlin Documentary Film Club)
26.05.2018, 17.30 Uhr, fsk-Kino, Berlin
27.05.2018, 20.00 Uhr, Abaton-Kino, Hamburg
28.05.2018, 18.45 Uhr, Cinema Ostertor, Bremen
29.05.2018, 20.00 Uhr, Mal seh´n Kino, Frankfurt
Zur Regisseurin: Stefanie Brockhaus, geboren 1977 in München, studierte am London College of Communications. Die unabhängige Filmemacherin arbeitet als Produzentin, Drehbuchautorin, Cutterin und Kamerafrau. Mit ihrem ersten Kurzfilm "Jam" gewann sie 2003 den Lux Award für den besten Experimentalfilm am ICA, er wurde im Museum of Modern Arts in New York gezeigt und lief auf diversen Filmfestivals.
Zum Regisseur: Andreas Wolff, geboren 1978 in München, war ab seinem 15. Lebensjahr professioneller Windsurfer, nach zehn Jahren wechselte er seinen Job und begann er als Filmassistent zu arbeiten. Er studierte an der University of Southern California in Los Angeles und an der Hochschule für Fernsehen und Film, München.
Gemeinsame Filmprojekte
2015 produzierten sie gemeinsam den Dokumentarfilm "Some Things are Hard to Talk About", Regie Stefanie Brockhaus: eine Abtreibungsgeschichte, die drei Generationen überspannt.
2012 entstand als gemeinsame Produktion unter der Regie von Andreas Wolff der Dokumentarfilm "Der Kapitän und sein Pirat", Thema ist die vergangene Zwangsbeziehung zwischen dem Piratenchef und Geiselnehmer Ahado und dem Gefangenen und Kapitän Kotiuk.
2010 führten beide in "Die andere Seite des Lebens - zwei Brüder aus dem Township" Regie und Kamera. In diesem Dokumentarfilm folgen sie zwei Brüdern, die in einem südafrikanischen Township im Konflikt zwischen Tradition und Kriminalität stehen.
Weitere Informationen finden Sie unter:
www.brockhauswolff.com
Ein Interview im Deutschlandfunk Kultur mit Stefanie Brockhaus und Andreas Wolff über "The Poetess": "Eine Frau zwischen Beduinentradition und Religion":www.deutschlandfunkkultur.de
The Poetess
Deutschland, Saudi-Arabien 2017
OmU - Arabisch mit dt. Untertiteln
Regie: Stefanie Brockhaus, Andreas Wolff
Produktion: Andreas Wolff, Brockhaus/Wolff Films
Redaktion: Claudia Tronnier, ZDF/Das Kleine Fernsehspiel, Lucas Schmidt, ZDF/Das Kleine Fernsehspiel |Kathrin Brinkmann, ZDF/ARTE
Kamera: Tobias Tempel, Stefanie Brockhaus
Schnitt: Hansjörg Weissbrich, Anja Pohl
Musik: Sebastian Zenke
Verleih: Brockhaus/Wolff Films mit finanziellen Unterstützung vom FFF Bayern
Lauflänge: 89 Minuten
Kinostart: 31.05.2018
Mehr zu "The Poetess" und bevorstehenden Veranstaltungen unter: www.facebook.com/thesaudipoetess
Hissa Hilal auf YouTube: www.bbc.co.uk
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
Manal al-Sharif - Losfahren. Eine autobiografische Erzählung
Ihr Video, das sie beim für Frauen verbotenen Autofahren in Saudi-Arabien zeigt, ging um die Welt. Seit August 2017 liegt die beeindruckende Autobiografie von Manal al-Sharif, der ersten saudischen IT-Expertin für Datensicherheit eine der ersten Frauen Saudi-Arabiens, die gemeinsam mit Männern in einem Büro der staatlichen Ölfirma Aramco arbeitete, im Secession Verlag auch auf Deutsch vor. (2017)
Das Mädchen Wadjda - Ein Film von Haifaa Al Mansour
Die Geschichte der zehnjährigen Rebellin ist nicht nur das erste von einer Frau in Saudi-Arabien realisierte, sondern auch das erste vollständig im Land gedrehte Filmprojekt überhaupt. Die Regisseurin entwirft eine ebenso humorvolle wie traurige Geschichte über Widerstand, Hoffnung und Veränderung. (2014)
Creating an atmosphere for change - Interview mit Haifaa Al Mansour
Subtlety and dialogue - These ae crucial elements in the work of the Saudi-Arabian film director who ist determined to make a contribution to her country´s opening. After a number of short movies and the renowned documentary "Women Without Shadows" (2005), Al Mansour recently released her first feature film "Wadjda". It tells the story of a ten-year-old girl´s relentless and creative fight for finally owning the green bicycle she passes daily on her way to school - even though cycling is not allowed for women in Saudi Arabia. (2013)
Weitere Informationen finden Sie unter:
www.amnesty.org
www.gc4hr.org Webseite des Gulf Centre for Human Rights (GCHR)